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Batı Trakya

Das Bildungsproblem in West-Thrakien bleibt bestehen

15.09.2005
Der Annäherungsprozess zwischen der Türkei und Griechenland, der nach den Erdbeben in beiden Ländern einsetzte, hat wichtige Verbesserungen für das Bildungswesen in West-Thrakien gebracht, angefangen von der Einführung neuer Lehrbücher für den Türkischunterricht bis zu Mitteln der Europäischen Union zur weitgehenden Behebung des Mangels an Unterrichtsräumlichkeiten. Inhaltlich jedoch gab es bisher keine Besserung. Im neuen Schuljahr konnten die Schulen in West-Thrakien nur mit Schwierigkeiten ihre Pforten öffnen.

Die im Auftrag der Föderation der Türken West-Thrakiens in Europa (ABTTF) von Cem Şentürk, einem Wissenschaftler des Zentrums für Türkeistudien (ZfT), erstellte Studie „Probleme des Bildungswesen der türkischen Minderheit in Griechenland“ untersucht auf der Basis aktueller Daten das Bildungswesen der in West-Thrakien lebenden türkischen Minderheit.

Mangelhaft qualifizierte Lehrkräfte

Das Abkommen von Lausanne von 1923 sieht gemäß den Paragraphen 40 und 41 für 175 der 223 in Griechenland betriebenen Minderheitenschulen zwei aktive Lehrkräfte vor. Die zuletzt 1998 veröffentlichten Zahlen des griechischen Ministeriums für Religion und Bildung zeigen, dass in nur 78 % der Schulen Erziehung und Unterricht mit der zum Betrieb nötigen Mindest-anzahl der Lehrkräfte durchgeführt werden.

In den vergangenen Jahren konnte der baufällige Zustand der Schulen mit Hilfsgeldern von der EU behoben und verhältnismäßig akzeptable Unterrichtsbedingungen hergestellt werden. Die nach den Erdbeben zwischen der Türkei und Griechenland aufgebauten guten Beziehungen haben dafür gesorgt, dass Lehrbücher, in denen Sätze standen wie: „Eines Tages wird der Mensch auch zum Mond fliegen“ durch moderne Lehrwerke ersetzt wurden. Während also bei den räumlichen Bedingungen und den Lehrmitteln Verbesserungen zu verzeichnen sind, ist die Unzulänglichkeit der Inhalte und des Lehrpersonals nach wie vor ein großes Problem.

Die Generation der in der Türkei ausgebildeten Pädagogen, die eine wichtige Rolle bei der Bewusstseinsbildung der türkischen Minderheit gespielt haben, ist inzwischen fast vollständig in den Ruhestand gegangen. Die vom griechischen Staat zur Ausbildung von Lehrern für die Minderheit in Thessaloniki eingerichtete Private Pädagogische Akademie (SÖPA) kann die an sie gestellten Anforderungen nicht im Geringsten erfüllen, sie ist für die Ausbildung der Minderheit sogar schädlich. Schüler, die eine der zwei Medresen in der Region absolviert haben, ohne dort ausreichend Türkisch gelernt zu haben, bekommen auf dieser Akademie drei Jahre Unterricht in griechischer Sprache und werden Schulabgänger als Lehrer an Schulen der Minderheit berufen. Die Lehrer, die Absolventen der SÖPA sind, unterscheiden sich von anderen Lehrern dadurch, dass sie als Staatsbeamte gelten, die Anspruch auf Gehalt und Rente haben, obwohl die Kosten der Minderheitenschulen nach dem Lausanner Abkommen eigentlich von den Minderheiten getragen werden müssen. Die Absolventen von Lehrerschulen haben diesen Anspruch nicht.

Ein ernsthafter Grund für Beschwerden seitens der Minderheit ist die Tatsache, dass Lehrer als Absolventen von der SÖPA kommen, die der türkischen Sprache nicht ausreichend mächtig sind und deshalb der Ausbildung der Kinder nicht dienlich sind. Außerdem führt dies mittlerweile dazu, dass die Angehörigen der Minderheit ihre Kinder angesichts der minder¬wertigen Ausbildung an den Minderheiten¬schulen durch fast 300 an der SÖPA ausgebildete Lehrer an griechische Schulen schicken. Darüber beklagen sich inzwischen sogar die SÖPA-Absolventen selbst. Für SÖPA-Absolventen allerdings, die in der Türkei an Lehrerseminaren des Türkischen Kultusministeriums teilnehmen, um sich fachlich weiterzubilden, drohen Gefängnisstrafen, Lehrverbot und Verbannung.

Abnehmende Stundenzahlen, Feiertage und Schulleitungen

Der in den Minderheiten-Schulen in türkischer Sprache gegebene Unterricht ist in den zwan-zig Jahren nach der Zypernkrise von 1974 um 40 Prozent zurückgefahren worden, während der griechischsprachige Unterricht um 50 Prozent zugenommen hat. Außerdem wurde den Schulen, die bis 1972 nur an islamischen Feiertagen geschlossen waren, auferlegt, dass sie auch an offiziellen griechischen Feiertagen geschlossen bleiben. Dies untergräbt die nötige Kontinuität des Unterrichts und hat hatte insbesondere in den Bergregionen fatale Folgen, wo aus sozioökonomischen Gründen bis Mai unterrichtet wird. Die gemäß dem Lausanner Abkommen die Schulen leitenden Schulrats-Gremien haben Symbolcharakter für die im Abkommen verbriefte Unabhängigkeit der Schulen. Nach Richtlinien und Gesetzen aus den Siebziger Jahren, die immer noch gelten, wurde die Berufung dieser Gremien dem Ermessen der Schulbehörden unterstellt, wodurch die Befugnisse der Schulräte praktisch auf ein Minimum gestutzt wurden. So können seit 1965 keine Lehrer mehr auf Beschluss der Schulräte berufen werden.

Namensgebung der Schulen

Die Frage der Namensgebung für Schulen mag als nur äußerliches Problem der Minderheiten-Bildungswesens erscheinen, ist aber eine wichtige Frage, die sich auch auf den Inhalt des Un-terrichts auswirkt. Mussten die Schulen in den Fünfziger Jahren noch auf Anweisung des Kö-nigs ausdrücklich als „Türkische Schulen“ benannt werden, so hat die 1967 an die Macht kommende Junta die Leugnung der „türkischen Identität“ damit eingeleitet, die Schilder wie-der abzunehmen und durch solche mit der Aufschrift „Muslimische Schulen“ ersetzen zu las-sen. Heute wird eine „türkische“ Identität in Griechenland nicht mehr anerkannt. Weil Rasim Hint, einer der Lehrer der Minderheit, deren Schulen als „Türkische Schulen“ bezeichnete, wurde er verbannt und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Des weiteren behauptet Griechen-land, die türkische Sprache werde in der Region erzwungenermaßen gesprochen, denn eigent-lich setze sich die Minderheit aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammen. Mit diesem Vorwand versucht man, bei einzelnen Gruppen innerhalb der Minderheit ein unterschiedliches ethnisches Bewusstsein zu schaffen und einen Grundpfeiler der Existenz der Minderheit, das Bildungswesen, abzuschaffen,.

„Wir wollen keine internationale Politik, wir wollen unsere Rechte“

Der Vorsitzende der ABTTF bewertete den Untersuchungsbericht über Probleme des Bil-dungswesens der Minderheit folgendermaßen: „Als ‚Föderation der Türken West-Thrakiens in Europa“ unterstützen wir wissenschaftliche Untersuchungen, die grundlegende Probleme unsere Minderheit betreffen. Die vorliegende Arbeit ist für uns in dieser Thematik ein No-vum. Wir werden uns in dieser Richtung weiter engagieren.“ Die von der Wissenschaft ge-sammelten Informationen werde niemand mehr anfechten können, unterstrich Habipoğlu und fuhr fort: „Diesen Untersuchungsbericht werden wir an alle internationalen Institutionen und Organisationen weiterleiten und sie auffordern, sich diese verknöcherten Probleme Griechen-lands anzusehen und Lösungen zu erarbeiten. Der Staat darf unsere Kinder nicht zur Unwis-senheit verurteilen.“ Ausgehend vom Prinzip der „Gegenseitigkeit“ drücke sich Griechenland beim Thema Bildung für die Minderheit - wie schon bei anderen die Minderheit betreffenden Themen - davor, die Probleme zu lösen, so Habipoglu. „Als vollberechtigte Bürger Griechen-lands wie auch der EU fordern wir unsere durch die internationalen Verträge garantierten Rechte ein. Das in den griechischen Bildungsgesetzen hinterlegte Prinzip der Gegenseitigkeit ist das Produkt einer überholten Geisteshaltung. Warum das in den internationalen Beziehun-gen zur Anwendung kommende Gegenseitigkeitsprinzip in Griechenland gegen die Bürger der Minderheit angewandt wird, ist unbegreiflich. Ich fordere Griechenland auf, uns die Na-mensschilder der Schulen zurückzugeben, bei den Unterrichtsstunden und dem muttersprach-lichen Unterricht zum alten Verfahren zurückzukehren, den Schulräten ihre Kompetenzen zurückzugeben und die SÖPA, die das Bildungswesen der Minderheit sabotiert, in Zusam-menarbeit mit der Minderheit zu reformieren.“
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